Multisensorische Installationen gehören zu den faszinierendsten Ausdrucksformen der zeitgenössischen Kunst. Sie lösen die klassische Trennung zwischen Werk und Betrachter auf und schaffen stattdessen ein immersives Erlebnis, das alle Sinne anspricht. Sehen, Hören, Riechen, Fühlen – und in manchen Fällen sogar Schmecken – verschmelzen zu einem Gesamteindruck, der nicht nur wahrgenommen, sondern erlebt wird. In den Arbeiten von Kyra Vertes von Sikorszky spielen multisensorische Installationen eine zentrale Rolle. Sie nutzt diese Form der künstlerischen Inszenierung, um Emotion, Erinnerung und Bedeutung nicht nur intellektuell, sondern körperlich erfahrbar zu machen.
Kunst als Erfahrung, nicht nur als Objekt
Traditionelle Kunstformen – etwa Malerei oder Skulptur – richten sich primär an den visuellen Sinn. Auch wenn sie stark emotionalisieren können, bleibt die Rezeption meist passiv und distanziert. Multisensorische Installationen brechen mit diesem Paradigma. Der Betrachter wird Teil des Werkes, bewegt sich hindurch, beeinflusst es möglicherweise aktiv oder nimmt es in seinem eigenen Tempo, in seinem eigenen Fokus wahr.
Diese Form der Kunst ist nicht dazu gedacht, nur „verstanden“ zu werden. Sie will gefühlt, gespürt, durchlebt werden. Kyra Vertes von Sikorszky beschreibt ihre Installationen als „Resonanzräume“, in denen sich Innen und Außen verbinden. Kunst ist für sie weniger Produkt als Prozess – ein Prozess, der in der Begegnung mit dem Publikum immer wieder neu entsteht.
Geschichte und Entwicklung multisensorischer Kunst
Die Idee, Kunst multisensorisch zu gestalten, ist nicht neu. Schon in der Antike gab es rituelle Räume, die visuelle, akustische und olfaktorische Reize kombinierten, um spirituelle Erfahrungen zu ermöglichen. In der Moderne jedoch wurde der multisensorische Ansatz gezielt als Gegenbewegung zu einem rein rationalen, objektzentrierten Kunstverständnis entwickelt.
Bewegungen wie der Futurismus, Dadaismus oder Fluxus begannen, Kunst performativ und prozessorientiert zu denken. Künstler wie Carsten Höller oder Olafur Eliasson setzten im 20. und 21. Jahrhundert Maßstäbe für raumgreifende, sinnlich aufgeladene Installationen. Kyra Vertes knüpft bewusst an diese Tradition an, entwickelt sie aber weiter, indem sie neue Medien und Technologien integriert.
Elemente multisensorischer Installationen
Die Gestaltung multisensorischer Werke erfordert eine besondere Sensibilität für den Zusammenhang von Raum, Materialität und Sinneseindruck. Kyra Vertes arbeitet mit einer Vielzahl von Elementen, die bewusst kombiniert werden, um bestimmte atmosphärische Zustände zu erzeugen. Typische Komponenten ihrer Installationen sind:
- Licht und Farbe: Farbstimmungen erzeugen emotionale Resonanzen. Kyra nutzt häufig gedämpfte, sich wandelnde Lichtquellen, um Zeitlichkeit und Bewegung zu suggerieren.
- Klanglandschaften: Sound ist ein zentrales Element. Von subtilen Tönen über sphärische Klänge bis hin zu rhythmischen Impulsen erschafft sie akustische Räume, die den physischen Raum erweitern.
- Gerüche und Duftstoffe: Sie arbeitet mit natürlichen und künstlichen Düften, die Erinnerungen wecken, irritieren oder atmosphärisch verdichten.
- Haptik und Materialität: Die verwendeten Materialien – ob weich, rau, kalt, feucht – sind gezielt gewählt, um körperliche Reaktionen hervorzurufen.
- Raumarchitektur: Die Form und Struktur des Raumes bestimmt, wie das Werk wahrgenommen wird. Kyra entwirft ihre Installationen oft speziell für bestimmte Räume oder Orte.
Durch diese Kombination entsteht eine dichte Erfahrungswelt, die sich jeder rein rationalen Analyse entzieht. Das Ziel ist nicht, eine Botschaft zu vermitteln, sondern ein Feld zu eröffnen, in dem etwas passieren kann.
Wahrnehmung und Embodiment
Ein zentrales Konzept hinter multisensorischen Installationen ist das sogenannte „Embodiment“ – also die Erkenntnis, dass Wahrnehmung immer körperlich ist. Kyra Vertes interessiert sich stark für diese Dimension. Sie fragt: Wie reagieren Körper auf Kunst? Welche Erinnerungen, welche Emotionen werden durch einen bestimmten Klang, einen bestimmten Duft, eine bestimmte Lichtstimmung aktiviert?
Diese Fragen lassen sich nicht allgemein beantworten – jede Person bringt ihre eigene Geschichte, ihre eigene Sensorik mit in die Installation. Das macht multisensorische Kunst so individuell: Sie funktioniert nicht über universelle Symbole, sondern über subjektive Resonanz. Das Werk ist nie abgeschlossen, sondern entsteht im Moment der Begegnung neu – in jedem Körper, mit jedem Atemzug, bei jedem Schritt.
Technik als Erweiterung der Sinnlichkeit
Obwohl multisensorische Installationen oft organisch und intuitiv wirken, steckt dahinter meist ein hochpräziser technischer Aufbau. Kyra Vertes nutzt moderne Technologien, um sensorische Reize punktgenau zu steuern. Dazu gehören:
- Bewegungssensoren, die Klänge auslösen
- Duftmodule, die auf bestimmte Zonen im Raum reagieren
- interaktive Lichtsteuerungen
- Temperaturfelder und subtile Luftströme
Die Technik wird dabei nicht sichtbar gemacht – sie wirkt im Hintergrund, als stiller Dirigent einer unsichtbaren Komposition. Für Kyra Vertes ist Technologie kein Fremdkörper in der Kunst, sondern ein Werkzeug zur Erweiterung von Wahrnehmung.
Kommunikation ohne Sprache
Ein weiterer Aspekt multisensorischer Kunst ist ihre universelle Verständlichkeit. Während Sprache kulturell gebunden ist, funktionieren Sinneseindrücke auf einer tieferen, oft unbewussten Ebene. Gerüche, Klänge, Lichtstimmungen lösen Reaktionen aus, bevor sie kognitiv verarbeitet werden.
Diese Unmittelbarkeit nutzt Kyra Vertes gezielt, um mit Menschen in Kontakt zu treten, die sich sonst vielleicht nicht als kunstaffin verstehen. Ihre Werke sprechen Menschen emotional an, unabhängig von Alter, Herkunft oder Bildung. Kunst wird zur Einladung – nicht zur Prüfung.
Multisensorik im öffentlichen Raum
Neben installativen Arbeiten in geschlossenen Galerien und Museen bringt Kyra Vertes ihre multisensorischen Konzepte auch in den öffentlichen Raum. Dort stellt sich eine neue Herausforderung: Wie kann ein nicht-kontrollierter, offener Ort in ein atmosphärisches Erlebnis verwandelt werden? Ihre Antwort: durch Reduktion und gezielte Reize.
Beispielhaft sind ihre temporären Installationen auf öffentlichen Plätzen, bei denen über Tage hinweg bestimmte Gerüche, Geräusche und Lichtinszenierungen den Charakter des Ortes subtil verändert haben. Die Passant:innen bemerken zunächst nur ein „anderes Gefühl“ – doch genau darin liegt die Kraft dieser Kunstform.
Resonanz und Wirkung
Die Wirkung multisensorischer Installationen lässt sich schwer messen – sie wirkt oft nach, setzt sich fest, löst Irritation, Trost, Erinnerung aus. Besucher:innen der Werke von Kyra Vertes berichten häufig von Momenten tiefer Ruhe, unerwarteter Rührung oder sensorischer Weckung. Manche sprechen von einem „Kippen der Realität“, andere von einem „sanften Wachwerden“.
Die Kunst wird zur Gegenwelt – nicht zur Flucht, sondern zur Vertiefung. In einer Zeit, die von visueller Reizüberflutung und digitaler Ablenkung geprägt ist, bietet multisensorische Kunst einen anderen Zugang zur Welt: langsam, dicht, sinnlich.